Sibylle Lewitscharoff: Verantwortung für die Sprache/Empathie für die Protagonisten

Als Schriftstellerin haben Sie eine viel größere sprachliche Freiheit als wir im Alltag. Wie nutzen Sie diese Freiheit? Was für eine Sprache schaffen  Sie?

"Ich bin ganz dagegen, dass es in der Literatur ständig sadistisch zugeht. Der Mensch ist mehr als ein nur körperliches Wesen, er gehört im Grunde in eine höhere Hut, also in eine göttliche Hut. Ich bin dagegen, dass man ihn sprachlich so verletzt, dass er salopp gesagt, nur noch ein Stück Scheiße ist. Aus diesem Grund habe ich meinen Romanen noch keine einzige Figur, auch Figuren, die ich nicht sonderlich mag, so beschmutzt, dass ein Leser denken müsste: Die müssten jetzt weg. Ich sehe mich im Schreiben einem zutiefst humanen Agens verpflichtet. Ich möchte den Menschen behüten im Schreiben. Egal ob Mann oder Frau."

Das heißt, wenn man mit Sprache arbeitet, hat man eine große Verantwortung?

"Ja. Besonders in Bezug auf menschliche Figuren. Ich liebe es nicht, wenn Personen zur Schnecke gemacht werden. Abgesehen davon ist das rein Rohe einfach zu fade. Genauso, wie Sie einen Roman schlecht aus dem rein Schönen und Guten heraus schreiben können.  Das geht auch schlecht.

2019 erschien von Sibylle Lewitscharoff der Roman "Von oben" im Suhrkamp Verlag

aus: "So ein Sternchen da oben sieht doch komisch aus" - Interviewerinnen waren Denise Bucher und Martina Läubli - Neue Zürcher Zeitung 1.11.2020